Hr2 Doppel-Kopf
Am Tisch mit Heinz Wässle, "Augenmensch" - die Netzhaut
Mo, 7. Februar 2005 12:05 Uhr
Eine unglaubliche Ordnung und eine unglaubliche Komplexität hat Heinz Wässle in unserem Auge entdeckt. Der Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt gehört zu den weltweit führenden Neuroanatomen. In der öffentlichen Debatte um Hirnforschung und Menschenbild hält er sich jedoch sehr zurück: „Ich bin einfach zu bescheiden, als dass ich glauben könnte, dass ich dieses komplexe Organ wirklich verstehen kann.“ Im "Doppel-Kopf" erzählt Professor Heinz Wässle dann aber doch einiges darüber, was uns das Auge – „ein kleiner Satellit des Gehirns“ – über das Gehirn verrät.
Gastgeberin: Regina Oehler.
Wie ist das Auge entstanden, oder wie hat sich das menschliche Auge entwickelt? [Es ist nicht ein menschliches Auge, es sind ja sogar zwei, warum gerade zwei Augen? Wir haben nur einen Mund, hätten wir zwei Münder wäre der Genuss der Speisen kaum besser, aber zwei Augen bereichen die Lebensqualität erheblich. War es der Wunsch der Evolution uns so wunderbar auszustatten? Oder verdanken wir es einem Wunderbarem Designer] Entstand es durch Zufall durch punktuelle Evolution, oder entstand es langsam durch natürliche Zuchtwahl - Mutationen und Selektionen, oder ist die Illusion von Design (intelligent Design [ID-Theorie]) gar keine Illusion sondern Tatsache im Sinne von Wahrheit. Was Heinz Wässle im Februar 2005 in seinem Gespräch gesagt hat soll dem Leser als Grundlage für seine eigene Entscheidungsfindung dienen. Prof. Wässle sagt (übrigens ist Herr Wässle ein Katholik, wie Michael Behe):
"die Physiker (hätten es) überhaupt nicht besser bauen könnten. Und deswegen glaube ich, hat die Evolution hier etwas wunderbares vollbracht."
Hat tatsächlich die Evolution etwas wunderbares vollbracht ? Der mündige Leser möge seine eigenen Schlüsse ziehen.
Nun das Gespräch - auszugsweise (Abschreib- und Rechtschreibfehler bitte ich zu entschuldigen):
Regina Oehler:
Charles Darwin hat einmal gesagt: „Der Gedanke an das Auge lässt mich am ganzen Körper erschauern“. Können sie das nachempfinden?
Heinz Wässle:
Das kann ich vollkommen nachempfinden. Wenn ich mir als Physiker die Konstruktion des Auges anschaue, dann gehe ich zunächst einmal an die Optik des Auges. Diese Optik ist zum Beispiel bei nachtaktiven Tieren für höchste Lichtstärke optimiert, und ist damit besser als jedes Objektiv, dass die Optiker bauen können.
Bei uns ist dieses „Objektiv“ auf höchste Sehschärfe optimiert und kommt an die physikalischen Grenzen der Sehschärfe, nämlich ein beugungsbegrenztes Bild. Die Physik könnte es also eigentlich nicht besser machen. Das eben beschriebene ist also der optische Apparat. Wenn wir jetzt einmal die Netzhaut betrachten ist diese in der Dunkelheit so empfindlich, dass sogar ein einzelnes Lichtquant welches auf sie fällt von ihr absorbiert, und somit von uns gesehen wird. Als ein absoluter „Quantendetektor“ geht diese Einrichtung also auch wiederum an die äußersten Grenzen der Physik. Auf der anderen Seite funktioniert das Auge aber auch im gleißenden Sonnenlicht. Das Licht hier ist um vierzehn Zehnerpotenzen heller (also einige Milliarden von Lichtquanten) und kann diese auch noch messen. Das Auge ist somit auch ein „Messinstrument“ wie es die Physiker überhaupt nicht besser bauen könnten. Und deswegen glaube ich, hat die Evolution hier etwas wunderbares vollbracht.
Regina Oehler:
Wie kann man sich überhaupt vorstellen, dass so ein perfektes Organ im Lauf der Evolutionsgeschichte entstehen kann?
Heinz Wässle:
Man nimmt an das sich dies ausgehend von relativ primitiven Organen, wie beispielsweise dem Grubenorgan bei Schlangen, erweitert hat. Hier wird Wärme (also Infrarotlicht) wahrgenommen, und dieses Grubenorgan ist im wesentlichen nichts anderes als ein Loch in der Haut, welches ohne Linse mit Sinneszellen ausgestattet ist. Wenn nun hierauf Wärmestrahlen einfallen werden diese von der Schlange geortet. Das ist also die primitivste Form von Auge: Ein einfaches Loch, in welches Wärme einfällt und hinter dem sich Sehzellen befinden. Als nächstes hat sich dann die Linse entwickelt welche das Licht bündelt und scharf abbildet. Und dann hat sich das Auge im Laufe der Zeit immer verfeinerter weiterentwickelt. Bei uns Primaten ist vor 35 Mio. Jahren dann die wunderschöne „Erfindung“ des Farbensehens eingetreten. Das heißt, dass wir ab diesem Zeitpunkt mit den drei unterschiedlichen Zapfen für Rot, Grün und Blau unterschiedliche Farben sehr gut wahrnehmen können.
Regina Oehler:
Wir haben also in unserer Netzhaut unterschiedlich lichtempfindliche Sinneszellen. Die Stäbchen, welche bei Dämmerung und Nacht aktiv sind und die Zapfen, welche Tags aktiv sind. Und von den Zapfen gibt es drei verschiedene Typen die uns das Farbensehen ermöglichen.
Heinz Wässle:
Für das Tagessehen gibt es die drei Typen Rot, Grün und Blau und für das Nachtsehen haben wir die Stäbchen, die nicht Farbtüchtig sind. Von den Stäbchen gibt es also nur eine Art. Mit den drei Zapfen können wir unendlich viele Farben sehen. Die größte Sammlung an unterschiedlichen Farben haben die italienischen Mosaiksteinleger. Dies ist eine Farbpalette von fast drei Millionen unterschiedlichen Farben. Und wir können sie alle wahrnehmen! 3 Mio. verschiedene Farbtöne!
Regina Oehler:
Also auch hier geht es an die Grenzen des Vorstellbaren. Wie es dazu kommt das wir ein solch exzellentes Farbensehen haben ist ja lange Zeit nicht richtig verstanden worden. Hierüber gab es ja die unterschiedlichsten Thesen und Hypothesen. Wie, was im Auge verschaltet ist, dass unser Farbsehen zustande kommt. Und sie Professor Heinz Wässle sagen ja, unser Farbensehen verdanken wir der Tatsache, dass wir solch eine wunderbare Sehschärfe haben.
Heinz Wässle:
Wir sind zu dieser Aussage gekommen weil wir das Auge der Primaten – der Affen und der Menschen mit dem Auge von Tieren wie Maus, Ratte oder Katze verglichen haben. Diese Tiere sind keine Trichromaten, sie haben also keine drei Zapfen sondern nur zwei. Und wir haben uns nun die Frage gestellt was diese von unseren Zapfen (denen der Primaten) unterscheidet. Hierbei haben wir festgestellt, dass es in der Verschaltung überhaupt keine Unterschiede gibt. Der Unterschied besteht darin, dass das Auge sich bei den Primaten für die höchste Sehschärfe entwickelt hat. Diese wird dann erreicht wenn einer dieser Zapfen mit einer Ganglienzelle verbunden ist und damit eine einzelne Faser ins Gehirn senden kann.
Regina Oehler:
Ganglienzelle ist die letzte Nervenzellschicht in der Netzhaut bevor die Information ins Gehirn weitergeleitet wird. Sozusagen eine „private Linie“ für die Informationsübertragung von den Zapfen ins Gehirn.
Heinz Wässle:
Ja. Und wenn dann in dem Zapfen das Sehpigment sich durch eine Mutation verändert kann das Gehirn dies unmittelbar nutzen. Sie können sich vorstellen, dass dies natürlich von großem Vorteil war. Die Primaten, welche ja Früchte essen, waren dann nämlich in der Lage zum Beispiel eine rote Frucht von einer grünen zu unterscheiden. Deswegen war dann unmittelbar, also vor ca. 35 Mio. Jahren nachdem diese Mutation eingetreten war ein Vorteil in der Evolution da. Die Primaten konnten diesen Vorteil dann nutzen und das Gehirn hat sich dann weiterentwickelt in ein Farbsystem hinein.
Regina Oehler:
Also die Mutation war, das es nicht mehr nur zwei unterschiedliche lichtempfindliche Pigmente in den Zapfen gab, sondern plötzlich drei.
Heinz Wässle:
Genau. Ein drittes kam hinzu, und dieser Umstand wurde dann unmittelbar vom Gehirn genutzt um die Farbinformation zu verrechnen.
Regina Oehler:
Nun findet in der Netzhaut ja unglaublich vieles gleichzeitig statt. Sie haben im Oktober in der Fachzeitschrift „Nature“ einen Artikel (Wässle, H. (2004) Parallel processing in the mammalian retina. Nat Rev Neurosci.; 5(10): 747-757) veröffentlicht. Darin beschreiben sie wie bereits viele verschiedene Bilder in der Netzhaut entworfen werden, welche die Augen dann gleichzeitig ans Gehirn schicken. Es ist ja so wie wenn da, in unserer Netzhaut viele veschidene „Filme“ gleichzeitig verarbeitet werden. Wie viele „Filme“ sind es denn?
Heinz Wässle:
Die Techniker wundert vor allem immer wieder wie schnell wir zum Beispiel Gesichter, Objekte oder Bilder erkennen. Technische Systeme sind bei weitem nicht so leistungsfähig. Die Frage ist: woher kommt das ? Das Geheimnis ist, das bereits in der Netzhaut, welche ja normalerweise mit einer „Kamera“ verglichen wird (was aber eine Beleidigung ist für die Netzhaut) bereits eine Vorverarbeitung der Bilder stattfindet. Zum Beispiel wird hier die Farbinformation getrennt verarbeitet, es wird Helligkeit oder Dunkelheit getrennt verarbeitet, es werden Kontraste getrennt verarbeitet, und so weiter.
So dass das Bild in der Netzhaut bereits in sehr viele einzelne Komponenten zerlegt wird, welche dann im optischen Nerv parallel in unterschiedliche Gehirnareale weitergeleitet werden. Die unterschiedlichen Gehirnareale haben dann zum Beispiel Aufgaben wie Stereopsis (Tiefensehen), Farbensehen, bewegtes Sehen und ähnliches herauszufiltern. Und dann, irgendwann kommt es zur Zusammenführung aller dieser verschiedenen Informationen und zur bewußten Wahrnehmung.
Regina Oehler:
Wieviele Bilder oder Filme werden bei diesem Vorgang gleichzeitig weitergemeldet?
Heinz Wässle:
Wir gehen davon aus das es ungefähr fünfzehn unterschiedliche Gangliensehklassen (Filme) in der Netzhaut gibt die gleichzeitig belichtet werden und dann die entsprechenden Signale, sowie die unterschiedlichsten Informationen ans Gehirn senden. Ein solcher Film ist ein Bewegungsdetektor, wie man es heute beispielsweise kennt wenn Licht automatisch eingeschaltet wird. Die Techniker haben hier ein Prinzip imitiert, welches im Auge bereits vorhanden ist.
Regina Oehler:
Und ein solcher Film hat offenbar auch etwas mit unserem Tagesrhythmus zu tun. Es gibt ja auch Nervenzellen die gar nicht auf die Informationen von den Zapfen und Stäbchen angewiesen sind sondern selber lichtempfindlich sind.
Heinz Wässle:
In den letzten vier Jahren hat sich gezeigt, das bei manchen Mäusen die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) degeneriert sind, so das diese Mäuse eigentlich kein Licht sehen dürften. Und trotzdem hat man beobachtet das diese Mäuse, wenn man sie einem Tag und Nachtrhythmus aussetzt, in ihrer Aktivität einen Zwölfstundenrhythmus zeigen. Das heißt das sie offensichtlich für diese Rhythmen Licht benutzen können. Die Frage war nun: Woher kommt diese Lichtempfindung ? Die Wissenschaftler haben dann festgestellt das es in der Netzhaut einen Ganglienzellentypus gibt der für sich selbst eine Lichtempfindlichkeit hat. Er benötigt hierfür also keine Zapfen und Stäbchen. Sie können also selber Lichtquanten auffangen. Man weiß allerdings noch nicht welches Pigment (Lichtsensor) bei diesen Zellen aktiv ist, und dies ist somit natürlich ein Gegenstand verstärkter Forschung.
Regina Oehler:
Und wir Menschen haben solche Sensoren auch?
Heinz Wässle:
Diese kommen auch bei uns Menschen vor. Und interressanterweise wurden diese Zellen bereits vor dreißig Jahren von Horis Barlow und Bill Levic mit der Mikroelektrode abgeleitet. Diese Elektrode wird in die Zelle eingeführt und man kann dann beobachten wie sich die Zelle bei Belichtung verhält. Hierbei ist aufgefallen das diese Zellen ihre Aktivität genau mit dem Lichtreiz ändern. Wenn also das Licht heller wird erhöht sich deren Aktivität stundenlang, wenn der Lichtreiz dunkler wird verringert sich die Aktivität. Diese Zellen nannte man Luminocity-Detektoren (Helligkeitsdetektoren). Interresanterweise fand man bei tausend gemessenen Zellen drei bis vier Zellen in dieser Art. Wenn wir nun jetzt mit anatomischen Methoden in der Netzhaut nachschauen dann finden wir, das diese Zellen nur in etwa 0,3 Prozent der Gesamtanzahl der Ganglienzellen ausmachen. Hier stimmt also die alte Physiologie mit der modernen Forschung überein.
Regina Oehler:
Diese Zellen scheinen ja eine entscheidende Rolle für unsere veschiedenen Rhythmen zu spielen.
Heinz Wässle:
Sie spielen zum Beispiel eine entscheidende Rolle bei der Steuerung unserer Pupille. Im hellen Licht ist unsere Pupille bekanntlich klein, bei Dunkelheit geht sie auf. Diese Steuerung der Pupille erfolgt über diese Ganglienzellen. Des weiteren haben sie eine entscheidende Rolle bei der Tagesrhythmik. Ich bin jedoch auch überzeugt das sie auch beim bewußten Sehen eine Rolle spielen, nämlich insofern das wir unterschiedliche Helligkeiten durch diese Zellen wahrnehmen.
Regina Oehler:
Das heißt also das diese Zellen eine ganz entscheidende Rolle für viele wichtigen Aufgaben des Auges und unserer Wahrnehmung übernehmen.
Heinz Wässle:
Sie spielen eine sehr entscheidende Rolle für das Abschätzen der abloluten Helligkeit in einem Raum. Sie geben uns ein also Signal über Dauerbelichtung oder den Unterschied zwischen hell und dunkel.
Regina Oehler:
Bei dieser unglaublichen Komplexität bereits einer einzigen Schicht in der Netzhaut, welche ja aus vielen solcher Schichten von Nervenzellen besteht, frage ich mich immer wieder ob es jemals so etwas wie eine künstliche Netzhaut geben kann. Es gibt ja im Moment eine große Debatte über solch eine künstliche Konstruktion (Mikrochips für das Auge, Retina-Implantate). Es gibt viele Forschergruppen, beispielsweise in Tübingen, welche daran arbeiten. Wie kann so etwas denn überhaupt funktionieren ?
Heinz Wässle:
Es wäre schön wenn man bei Patienten, bei denen die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) degeneriert sind, in der Lage wäre in die Membran der verbliebenen Ganglienzellen auf biologischem Wege Lichtkanäle einzubauen. Dies ist allerdings momentan noch Zukunftsmusik und ich glaube nicht daß so etwas in absehbarer Zeit möglich sein wird. Ich halte dies allerdings für biologisch vielversprechender als ein Silikonimplantat, wo durch elektrische Reizung die Ganglienzellen und der optische Nerv gereizt werden.
Regina Oehler:
Was hat sie dann zum Physikstudium bewogen? Sie haben ja zunächst in München Physik studiert und dort auch promoviert.
Heinz Wässle:
Ich war am humanistischen Gymnasium und habe dort Latein, Griechisch, Englisch und Französisch gelernt. Am Ende des Gymnasiums wollte ich immer wissen wie bestimmte Dinge funktionieren. Es war eigentlich immer mein Anliegen zu Wissen warum sich beispielsweise die Erde um die Sonne dreht, oder warum sich der Mond um die Erde dreht. Dies konnte ich nur aus der Physik erfahren. Aufgrunddessen habe ich erst einmal Physik studiert. Hierbei habe ich allerdings bemerkt das es in der Physik keine „warum“ Fragen gibt, sondern das die Physik lediglich Modelle für Beschreibungen von Vorgängen liefern kann. Man kann hiermit also nur beschreiben „wie“ etwas funktioniert, aber letzendlich nicht „warum“ es funktioniert. Die fundamentalen Fragen warum nun die Sonne die Erde anzieht oder was beispielsweise Gravitation ist, kann man in der Physik letztendlich natürlich nicht beantworten. Während des Physikstudiums bin ich dann am Institut für medizinische Optik in ein Praktikum gegangen und kam dort mit der Augenoptik, das heißt mit der physiologischen Optik, mit Farbwahrnehmung, Kontrastwahrnehmung und ähnlichem in Berührung. Dies hat mich vor allem fasziniert weil die Farbwahrnehmung nach wunderschönen Gesetzen abläuft, aber in der Physiologie noch nicht verstanden war. Am medizinischen Institut für Optik habe ich dann als Physiker meine Diplomarbeit gemacht und habe dort auch bereits in der Psychophysik (Vehaltensforschuing) gearbeitet. Meine Diplomarbeit drehte sich um Untersuchungen zum Helligkeitskontrast (Wie nehmen wir Kontraste wahr). Als ich damit fertig war, war ich eigentlich unbefriedigt, denn ich wußte immer noch nicht „warum“ die Sache letzendlich funktioniert.
Regina Oehler:
Den „warum“ Fragen sind sie nicht sehr viel näher gekommen?
Heinz Wässle:
Natürlich frage ich immer noch warum, aber meistens bekommt man hierauf keine Antwort. Ich erfahre nur „wie“ es geht, aber nicht „warum“ es geht. Und dann bin ich zu Otto Kreuzfeld ans Max-Planck-Institut für Psychiatrie gegangen und wollte dort mit physiologischen Methoden Untersuchen wie die Netzhaut funktioniert. Otto Kreuzfeld war einer der bedeutendsten Neurobiologen welche sich mit der Funktion des Auges und Sehgehirns beschäftigt haben. Er kommt aus der Schule von Richard Jung in Freiburg und hat auf dem Gebiet der Neurophysiologie Pionierarbeit geleistet. Er ist ein universal gebildeter Mensch den ich sehr verehre. Bei Kreuzfeld habe ich dann meine Doktorarbeit „Untersuchungen zur Physiologie der Sehschärfe“ gemacht. Wiederum war es die Frage, die ich einem englischen Kollegen (Brian Boycott aus London) gestellt habe, wie die Ganglienzellen in der Netzhaut (die Nervenzellen welche ihre Lichtsignale ins Gehirn senden) aussehen, zumal ich wußte, dass er mit anatomischen Methoden an diesen Zellen arbeitet. Er antwortete: „Oh Boy, what a silly question. Come to London and see …” Er hat mich daraufhin eingeladen diese Frage in London am Mikroskop zu beantworten.
Regina Oehler:
Warum war diese Frage denn so “silly” ?
Heinz Wässle:
Nun ja, das war eben so seine Art. Dann habe ich mir überlegt nach London zu gehen und dort für vier Monate am Institut von Brian Boycott (MRC Physics Department) zu arbeiten. Es war eine wunderschöne Zeit. Tagsüber habe ich ins Mikroskop geschaut und abends konnte dann in das kulturelle Angebot in London, die Royal Festival Hall, die Covent Garden Opera, und vieles andere wahrnehmen.
Regina Oehler:
Auch hier also die Verbindung von Wissenschaft und Musik.
Heinz Wässle:
Ja, es war sehr schön. In diesen vier Monaten war ich dann mit etwas Glück, was ja in der Wissenschaft oft auch entscheidend ist, in der Lage die unterschiedlichen Ganglienzellenklassen bei der Katze zu erforschen.
Regina Oehler:
Es waren ja Bahnbrechende Arbeiten welche sie dort mit Brian Boycott gemacht haben.
Heinz Wässle:
Die Arbeiten waren im wahrsten Sinne grundlegend für alle späteren Untersuchungen von Ganglienzellen der Netzhaut. Dies ist heute noch meine meistzitierte Arbeit. Dann bin ich wiederum der Frage nachgegangem wie die Ganglienzellen funktionieren und ging dann nach Australien an die John Curtey School in Campera. Dort habe ich mit Bill Leavey gearbeitet, einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der Physiologie der Netzhaut. Dort habe ich Eineinhalb Jahre in Campera gearbeitet. Auch war meine Familie in dieser Zeit bei mir. Wir haben dort eine sehr schöne Zeit verlebt und sehr viel gearbeitet. Trotzdem haben wir wunderschöne Sachen wie beispielsweise das Barriera Riff besucht. Die Korallen dort sind für mich immer noch die schönste natürliche Szene die ich jemals gesehen habe. Die Farben und Formen dort sind unglaublich schön. Anschließend bin ich dann (wie in einer typischen Hochschulkarriere) nach Deutschland an die Universität Konstanz gegangen. Dort habe ich in physiologischer Psychologie habilitiert. Dann hat ein Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft mich darauf aufmerksam gemacht, dass es bei ihnen eine sogenannte „Kaderschmiede“ gibt. Dort können junge Wissenschaftler im Grunde selbstständig arbeiten und sich dann im Laufe von fünf Jahren entweder profilieren, so dass sie weiterberufen werden, oder wenn sie „nicht gut genug“ sind, versuchen können etwas anderes zu finden. Und diese „Kaderschmiede“ ist ein Labor der Max-Planck-Gesellschaft wo vier Nachwuchsgruppen in Tübingen sehr gut arbeiten können. Im Jahr 1977 bin ich dann nach Tübingen gegangen und habe dort eine Arbeitsgruppe gehabt. Auch hier war wieder entscheidend das ich dort einen großen Wissenschaftler kennengelernt habe, nämlich Werner Reichert, der in Tübingen das Max-Planck-Institut für biologische Kyberbetik betreut hat.
Regina Oehler:
Er war der Nestor der biologischen Kybernetik.
Heinz Wässle:
Ja. Werner Reichert war ählich gestrickt wie ich, so dass er eben versucht hat an einem einfachen System das Gehirn zu verstehen. Das einfache System an dem er glaubte es zu können war das Gehirn der Fliege. Er ging von der Tatsache aus dass das Gehirn der Fliege nur 10 000 Nervenzellen hat, und er glaubte wenn er diese 10 000 Nervenzellen des Fliegengehirns verstehen kann, dann kann er auch das komplexere Gehirn des Menschen verstehen. Dieser Ansatz ist zwar richtig, aber leider war dies ein Irrtum, denn jede einzelne Nervenzelle bei der Fliege ist so kompliziert, dass sie nicht als Modell für menschliche Nervenzellen dienen kann.
Regina Oehler:
Das ist oft immer dieselbe Geschichte. In dem Moment wo ein relativ genauer Blick auf etwas gelingt, tun sich unmittelbar danach wieder ganz neue Dimensionen von Komplexität auf.
Heinz Wässle:
Wenn immer ich versucht habe eine Sache zu verstehen, so haben sich im nachhinein eigentlich immer mehr Fragen aufgetan als ich dann lösen konnte. Nachdem ich vier Jahre in Tübingen war, wurde das Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt neuorganisiert. Eine Komission hat dann Rolf Singer und mich als Direktoren an das Institut berufen. Wir beide sind dann (1981 meine Person, 1982 Rolf Singer) mit frischem Mut nach Frankfurt gekommen und haben in den letzten 23 Jahren versucht das Institut auf einem international hohen Niveau zu betreiben, und ich hoffe dies ist uns gelungen. Vor elf Jahren haben wir eine dritte Abteilung eingerichtet (Neurochemie), welche Heinrich Betz leitet.
Regina Oehler:
Was hat sich in den 20 Jahren in denen sie in Frankfurt sind im Hinblick auf die Netzhaut geändert?
Heinz Wässle:
Als ich angefangen habe dachte man noch dass die Netzhaut lediglich wie eine Art Photoapparat aufgebaut ist. Man ging hierbei von einem „Film“ aus, welcher die Signale an das Gehirn weiterleitet. Jetzt, mehr als 25 Jahre später, ist es ganz klar das die Netzhaut aus 15 Netzhäuten besteht welche ineinander verschachtelt sind. Die Bildverarbeitung hierbei ist viel komplexer als wir je gedacht haben. Das heißt also, daß die Netzhaut wirklich als ein „Satellit“ des Gehirns bezeichnet werden kann.
http://www.visus-verlag.de/augentraining-sehtraining/augen-aufbau.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirbeltierauge
http://www.augen-blankenese.de/wissen/das-auge-anatomie.html