Auf der Reise nach Worms predigte Luther am Sonntag, den 7.4.1521 in Erfurt. Ein Zuhörer berichtet: Allda zu Erfurt habe ich Lutherum in der Kappen hören predigen, und war die Kirch so voller Leute, daß die Empore krachte und jedermann meinte, sie würde einfallen. Drum auch etliche die Fenster ausschlugen und hinaus auf den Kirchhof gesprungen wären, wenn nicht Lutherus sie getröstet und gesagt hätte, sie sollen stillstehen, der Teufel machte sein Gespenst.
Aus Frankfurt schrieb Luther an Spalatin in Worms:
Wir kommen, mein lieber Spalatin, auch wenn der Teufel mit nicht nur einer Krankheit mich zu hindern versuchte. Denn auf der ganzen Reise von Eisenach bis hierher war ich matt und bin es noch immer, auf eine mir bisher unbekannte Weise.... Doch lebt Christus, und wir werden in Worms einziehen, allen Pforten der Hölle und Geistern der Luft zum Trotz.
In der Nacht vom 15. auf den 16. April 1521 entstand in Oppenheim am Rhein das bekannteste Lied des Protestantismus in Deutschland: Ein feste Burg ist unser Gott Strophe 3 gibt wieder, was Luther über die Begegnung in Worms dachte...
Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Warum ? Der Fürst dieser Welt - der Teufel - ist bereits gerichtet !
Die Rede Dr. Luthers auf dem Reichstag zu Worms
Allerdurchlauchtigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten, gnädigste Herren ! Zur mir gestern nachmittag festgesetzten Zeit erscheine ich gehorsam und bitte um der Barmherzigkeit Gottes willen, Eure Majestät und Eure Herrschaften wollen geruhen, diese Sache der Gerechtigkeit und Wahrheit ( wie ich hoffe ) gnädig anzuhören und es mir gütig nachsehen, wenn ich aus Unerfahrenheit jemandem nicht dem ihm gebührenden Titel gebe oder auf irgendeine Weise gegen höfischen Brauch und Verhalten verstoße; denn ich habe bisher nicht an Höfen gelebt, sondern in engen Verhältnissen der Mönche. Ich kann für mich beanspruchen, daß ich bis jetzt in solcher Einfalt des Geistes gelehrt und geschrieben habe, daß ich dabei allein an Gottes Ehre und die rechte Unterrichtung der Christen gedacht habe. Allerdurchlauchtigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten ! Eure geheiligte Majestät hat mir gestern zwei Fragen vorgelegt: ob ich die unter meinem Namen verbreiteten Schriften, deren Titel verlesen wurden, als die meinigen anerkenne und ob ich sie weiter vertreten oder widerrufen wolle. Auf die erste Frage habe ich sofort die klare Antwort gegeben, bei der ich auch bleibe und in Ewigkeit bleiben werde: Es sind meine von mir unter meinem Namen veröffentlichten Schriften, sofern nicht beim Abdruck durch gegnerische List oder durch Besserwisserei etwas an meinem Text verändert oder entstellt worden ist. Denn ich erkenne nur das an, was mir allein gehört und von mir allein geschrieben ist, ohne jede fremde Auslegung, so gut sie auch gemeint sei. Auf die zweite Frage bitte ich Eure geheiligte Majestät und Eure Herrschaften, darauf zu achten, daß meine Schriften nicht alle von derselben Art sind. In einigen habe ich Glauben und Sitten so schlicht und evangelisch behandelt, daß selbst meine Gegner zugeben müssen: Sie sind nützlich, unschädlich und wert, von Christen gelesen zu werden. Sogar die harte und grausame Bulle hält einige meiner Schriften für unschädlich, obgleich sie mit wahrhaft seltsamem Urteil auch diese verurteilt. Wenn ich also anfinge, diese Schriften zu widerrufen, was täte ich damit anderes, als daß ich als einziger Sterblicher die Wahrheit verurteilte, die Freund und Feind bekennen. Ich lehnte als einziger ab, was alle anderen einmütig bekennen. Die zweite Art meiner Schriften bekämpft das Papsttum und was dazugehört, weil die Papisten mit ihren schlechten Lehren und Beispielen den christlichen Erdkreis geistig und leiblich zugrunde gerichtet haben. Denn niemand kann leugnen oder ver- bergen, was die Erfahrung und die Klage aller bezeugen: Die Gesetze des Papstes und die Menschenlehren haben die Gewissen der Gläubigen elend in Fesseln geschlagen, mißhandelt und zu Tode gefoltert, und Hab und Gut sind - vor allem in unserer ruhmreichen deutschen Nation - durch unglaubliche Tyrannei verschlungen worden und werden noch weiter ohne Ende und auf die unwürdigste Art verschlungen. Und in ihren eigenen Dekreten machen sie den Vorbehalt, Gesetze und Lehren des Papstes, die dem Evangelium oder den Lehren der Väter widersprechen, seien irrig und ungültig. Widerrufe ich daher auch diese Schriften, so stärke ich die Tyrannei und öffne solcher Gottlosigkeit nicht nur die Fenster, sondern auch die Pforten, so daß sie sich weiter und ungehinderter ausbreiten, als sie bis jetzt je gewagt hat. Und kraft dieses Widerrufes wird die Herrschaft ihrer hemmungslosen und straftlosen Bosheit für das arme Volk noch viel unerträglicher und zugleich unerschütterlicher werden, zumal wenn man behaupten kann, ich hätte das auf die Autorität Eurer geheiligten, durchlauchtigsten Majestät und des ganzen Römischen Reiches hin getan. Was für ein Aushängeschild, lieber Gott, wäre ich da für Bosheit und Tyrannei ! Die dritte Art Schriften sind die, die ich gegen einige einzelne Privatpersonen ( so wie man sie nennt ) geschrieben habe, die es unternommen haben, für die römische Tyrannei einzutreten und den von mir gelehrten Glauben umzustoßen. Gegen sie, das gebe ich zu, bin ich schroffer gewesen, als es mir als Mönch ziemt. Denn ich mache aus mir keinen Heiligen und disputiere nicht über mein Leben, sondern über die Lehre Christi. Auch diese Schriften kann ich aber nicht widerrufen; denn wenn ich sie widerriefe, würden Tyrannei und Gottlosigkeit unter Berufung auf mich heftiger denn je herrschen und gegen das Volk Gottes wüten.
Weil ich aber ein Mensch bin und nicht Gott, kann ich meine Schriften nur so verteidigen, wie mein Herr Jesus Christus seine Lehre verteidigt hat. Als er vor Hannas über seine Lehre befragt wurde und ein Diener ihm ins Gesicht schlug, hat er gesagt: " Habe ich unrecht geredet, so beweise, daß es unrecht ist. " ( Johannes 18,23 ) Wenn der HERR selbst, der wußte, daß er nicht irren kann, bereit ist, selbst vor einem niederen Knecht ein Zeugnis gegen seine Lehre zu hören, wieviel mehr muß dann ich, der ich ein Nichts bin und nur irren kann, darum bitten und darauf warten, ob jemand gegen meine Lehre Zeugnis vorbringen will. Darum bitte ich durch die Barmherzigkeit Gottes, Eure Majestät, Eure durchlauchtigsten Herrschaften oder wer auch immer es vermag, der Höchste oder der Geringste, wolle Zeugnis geben, die Irrtümer widerlegen, sie mit Propheten- und Evangelienworten überwinden; denn ich werde, wenn ich belehrt worden bin, bereit sein, jeden Irrtum zu widerrufen, und meine Bücher als erster ins Feuer zu werfen. Daraus geht, so meine ich, hervor, daß ich die aus Anlaß meiner Lehre in der Welt entstandenen Gefahren, Zwietracht und Streitigkeiten, derentwegen ich gestern ernst und streng ermahnt worden bin, wohl im Auge gehabt und erwogen habe. Für mich ist es allerdings der allererfreulichste Anblick, wenn ich sehe, daß um des Wortes Gottes willen Eifer und Streit entstehen. Denn das ist der Lauf, das Geschick und der Ausgang des Wortes Gottes, wie der HERR sagt: " Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert; denn ich bin gekommen, einen Menschen mit seinem Vater zu entzweien usw " ( Matth"us 10,34 ) Darum müssen wir bedenken, wie wunderbar und schrecklich unser HERR in seinen Plänen ist, damit nicht das, was zur Beilegung von Streitigkeiten unter- nommen wird - wenn wir damit anfangen, das Wort Gottes zu verurteilen -, vielmehr zu einer Sintflut unerträglichen Übels führt. Man müßte dann Sorgen haben, daß die Regierung dieses jungen edlen Fürsten Karl ( auf den sich nächst Gott viel Hoffnung richtet ) unglücklich werden könnte. Ich könnte das an vielen Beispielen der Schrift vom Pharao, vom König von Babylon und von den Königen Israels zeigen, die sich dann am meisten zugrunde gerichtet haben, wenn sie mit den weisesten Ratschlüssen ihre Reiche befrieden und befestigen wollten. Denn ER ist es, der die Klugen in ihrer List fängt und Berge zu Fall bringt, ehe sie es merken ( Hiob 5,13; 9,5 ) Darum bedarf es der Furcht Gottes. Ich sage das nicht, weil so hochgestellte Persönlichkeiten der Belehrung und Ermahnung durch mich bedürften, sondern weil ich meinem Deutschland den gehorsamen Dienst, den ich ihm schulde, nicht vorenthalten darf. Damit befehle ich mich Eurer Majestät und Euren Herrschaften. Ich bitte demütig, es nicht zuzulassen, daß der Eifer meiner Gegner mich ohne Grund bei ihnen in Ungnade stürzen läßt. Ich habe geredet.
Hierauf wurde Luther vorgehalten, er habe nicht zur Sache geredet; Dinge, die bereits von den Konzilien entschieden worden seien, dürften nicht in Zweifel gezogen werden; es werde von ihm eine einfache, nicht "gehörnte" Antwort erwartet, ob er wider- rufen wolle oder nicht. Darauf antwortete Luther:
Wenn Eure Majestät und Eure Herrschaften denn eine einfache Antwort verlangen, so werde ich sie ohne Hörner und Zähne geben.
Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde - denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht; es steht fest, daß sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben -, so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte überwunden. Und da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen 18. April 1521
In Wittenberg im Jahre 1522 machte Luther in der Stadtkirche folgende Aussage: Nehmt ein Exempel von mir. Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber nicht mit Gewalt. Ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen han, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Phillipus und Amsdorf getrunken hab, also viel getan, daß das Papsttum also schwach geworden ist daß im noch nie ein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat............... Und wenn ich hätt wollen mit Ungemach fahren, ich wollt Deutschland in ein groß Blutvergießen gebracht haben, ja, ich wollt zu Worms ein Spiel angerichtet haben, daß der Kaiser nicht wieder wär genesen. Aber was wäre es ? Ein Narrenspiel wär es gewesen. Ich hab nichts gemacht, ich hab das Wort handeln lassen.
Luther hatte ein furchtbares Bild seiner Kirche entworfen: Seine Bildersprache entnahm der Reformator direkt der Heiligen Schrift, aus PSALM 22 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volke. Alle,die mich sehen,verspotten mich, reden mit ihren Lippen und schütteln den Kopf; Er hat auf den Herrn gehofft,der reiße ihn heraus und rette ihn, hat er Lust zu ihm. Denn du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du warst meine Zuversicht, da ich noch an meiner Mutter Brüsten war. Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an; du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an. Geh nicht weg von mir, denn Trübsal ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Viele Kälber haben mich umgeben; feiste Stiere mich umringt. Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe. Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine sind zerstreut; mein Herz ist geworden wie Wachs, das mitten in meinem Leibe zerschmilzt. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub. Denn viele Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Ich kann alle meine Knochen zählen; Verspottet wird die Kirche, Priester und Bischöfe unterdrücken die Wahrheit wie die feisten Stiere, die Christus umgeben; die Ämter werden ausgeschüttet wie Wasser; alle Kraft, Glaube und Liebe ist vertrocknet wie ein Scherben; die Verkündigung wirkungslos, da die Zunge am Gaumen klebt. Hände und Füße sind durchgraben, da die rechte Lehre unter Bann steht, ja die Auslegung der Heiligen Schrift ist verderbt, durch Allegorisierungen verfälscht, durch die Lehre vom vierfachen Schriftsinn gevierteilt wie Christi Kleid. Luther geht in seiner Benutzung der Schrift leidenschaftlich vor: die Dornenkrone be- deute die Herrschaft der Gottlosen in der Kirche, die blutenden Wunden deute auf die Entstellung der Kirche durch unerhörte Laster hin, der Purpurmantel auf die Gelüste des Papsttums nach weltlicher Herrschaft, die Konzilsbeschlüsse seien wie das Schlagen mit dem Rohr auf das Haupt Christi.Die Geißelung wiederhole sich in der Marterung der Gewissen durch Gesetze und Beichte. In rücksichtsloser Schärfe macht sich Luthers Denken daran, seiner Kirche vorzuhalten, daß sie sich reformieren müsse. Der Zusammenstoß Luthers mit dem Papsttum, zu dem es ja in Worms kam, hat dazu geführt, daß aus der alten Kirche eine neue Kirche erwuchs. Daß sich der Papst halten konnte, ist nur der Gegenreformation zu verdanken. Daß aber weder die alte noch die reformierte Kirche ihren Status halten konnte, spricht dafür, daß jede Generation sich selbst einen Zugang zu Christus verschaffen muß.Nach dem 2. Weltkrieg verhalfen uns die Amerikaner zu einem neuen Christusverständnis und das Land der Reformation hat das Evangelium erst wieder importieren müssen. Heute ist Jesus Christus wieder der Gekreuzigte, der hinter dem Wort der Heiligen Schrift auf den einzelnen Menschen wartet, der irgend aus einem Grund unternimmt, ihn zu suchen. Dort, wo ER zu finden ist, wo Luther gesucht hat, in der SCHRIFT.
Weiterlesen:
http://www.reformatorischeschriften.de/Vorrede/roemer.html
Luther zeichnet ein furchtbares Bild der Kirche seiner Zeit.
Luther hat vor seiner Reformation die Psalem ausgelegt. Mit Psalm 22 hat er Er benutzt die Worte des Psalms 22 um etwas zu verdeutlichen: die Wahrheit des Leidens Christi und die Wahrheit des Leidens der Kirche, als ein Teil Christi. Er benutzt die Worte des Psalmes und beschreibt nun mit diesen Worten die Kirche als gekreuzigt.
Die Kirche ist eine Zielscheibe des Spottes unter der päpstlichen Herrschaft geworden – wie Christus.
Die Priester und Bischöfe unter-drücken die Wahrheit und umgeben „mich“ wie die feisten Stiere.
Die Ämter werden an Unwürdige ausgeschüttet wie Wasser.
Der Glaube und die Liebe sind versiegt. Alle Kraft ist vertrocknet.
Die Verkündigung ist wirkungslos - die Zunge klebt am Gaumen
Die rechte Lehre steht unter dem Bann und der Verfolgung durch die
Kirchenfürsten - Hände und Füße sind durchgraben.
Späher und Angeber bedrohen bis in den letzten Winkel jeden der nur im geringsten aufmuckt - man kann die Gebeine zählen
die Heilige Schrift ist von der Verderbnis schon erfaßt: ihre Auslegung ist seit Jahrhunderten durch Allegorisierungen verfälscht.
Mit immer mehr sich steigernder Leidenschaft wettert Luther hier gegen das Zerreißen und die willkürliche Deutung der Schrift. Er wettert gegen die Lehrgewalt und das Entscheidungsrecht des Papstes, gegen die allgemeine Ungewißheit über den rechten Glauben, gegen die die Universitäten, deren Gelehrte die Schrift unter sichverteilen und darüber würfeln. Die Kirche ist entartet hinsichtlich des Lehr- und Predigtamtes. Das sittliche Leben des Zeitgenossen ist auch entartet.
Dann greift Luther über diesen Text des Psalmes noch hinaus und geht zum NT über. Er deutet einzelne Züge aus der Leidensgeschichte Jesu aus den Evangelien um und bezieht sie auf das Leiden seiner Kirche. Eigentlich SEIN Leiden:
Die Dornenkrone bedeutet die Herrschaft der Gottlosen in der Kirche. Die blutenden Wunden deuten auf die Entstellung der Kirche durch unerhörte Laster aller Art. Der Purpurmantel auf die päpstlichen Gelüste nach weltlicher Herrschaft. Das Zepter sei das hohle Rohr der Philosophie und Rechtswissenschaft. Das Niederfallen und Kniebeugen der Kriegsknechte bilde den lügnerischen Gottesdienst ab.
Die kühne Deutung der Leiden Jesu auf die Leiden der Kirche richtet sich gegen die falschen Lehren und gegen den Führungswillen der Gemeindevorsteher (Bischöfe).
Mit dieser Deutung des Psalms 22 auf die Kirchen-situation wird der Zusammenstoß der Gewalten auf dem Reichstag in Worms schon vorgezeichnet. Die Auslegung von Psalm 22 kündigt die Reformation schon an: Christus hat gelitten; aber wer kann Christus widerstehen?
Original: Auslegung von Psalm 22
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n871
kein wahrer Gottesdienst
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n947
der Zwang Sünden zu beichten
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n951
der Papst schlägt Christus auf den Kopf
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n949
kein Trost wird verkündigt den Betrübten
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n945
das Purpurkleid ist das römische Reich
https://archive.org/details/dmartinluthersso04luth/page/n945
Luther im pdf
http://www.lutherdansk.dk/WA/D.%20Martin%20Luthers%20Werke,%20Weimarer%20Ausgabe%20-%20WA.htm
Luther - Predigten von 1522
https://archive.org/details/pt3werkekritisch10luthuoft/page/n13
Reichstag in Worms 1521
Am 18. April 1521 musste sich Martin Luther öffentlich vor Kaiser und Fürsten verteidigen. Was wird er sagen? Eigentlich hatte man seine Antwort für den gleichen Tag erwartet: Widerruf oder nicht, das war die Frage. Luther erbittet sich einen Tag Bedenkzeit.Und dann hält er eine bemerkenswerte Rede.
Allergnädigster Herr und Kaiser!
Durchlauchtigste Fürsten! Gnädigste Herrn!
Luther richtet seine Worte an Kaiser Karl V. und an die deutschen Fürsten. Interessant ist hierbei, dass er die anwesenden Vertreter der Kirchen (er war im Kirchenbann) nicht explizit begrüßt, sondern nur allgemein anspricht mit „Gnädigste Herrn“.
Ich erscheine gehorsam zu dem Zeitpunkt, der mir gestern abend bestimmt worden ist, und bitte die allergnädigste Majestät und die durchlauchtigsten Fürsten und Herren um Gottes Barmherzigkeit willen, sie möchten meine Sache, die, hoffe ich, gerecht und wahrhaftig ist, in Gnaden anhören.
Und wenn ich aus Unkenntnis irgend jemand nicht in der richtigen Form anreden sollte oder sonst in irgendeiner Weise gegen höfischen Brauch und Benehmen verstoßen sollte, so bitte ich, mir dies freundlich zu verzeihen; denn ich bin nicht bei Hofe, sondern im engen mönchischen Winkel aufgewachsen und kann von mir nur dies sagen, daß ich bis auf diesen Tag mit meinen Lehren und Schriften einzig Gottes Ruhm und die redliche Unterweisung der Christen einfältigen Herzens erstrebt habe.
Luther hatte bereits gewonnen, da er einen Tag herausschlagen konnte. Er präsentiert sich als Untertan des Kaisers, indem er daran erinnert, dass er, wie von dem Kaiser erwartet, gehorsam erschienen sei. Er fängt demütig an. Luther spricht an dieser Stelle etwas eigentlich Selbstverständliches aus: Gehorsam. Aber er erreicht damit, dass er seinen Wunsch, ihn gnädig anzuhören, noch mal formulieren kann.
Zielstrebig macht sich Luther daran, die politischen Implikationen herunterzuspielen. Er präsentiert sich vor Kaiser und Fürst als einfacher Mönch, der das Wort Gottes lehrt. Er vermeidet damit, sich selbst den Anschein zu geben, er sei ein Mann der Politik. Den Vorwürfen gegen die eigene Person begegnet er gleich mit Demut und Bescheidenheit.
Allergnädigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten! Mir waren gestern durch Eure allergnädigste Majestät zwei Fragen vorgelegt worden, nämlich, ob ich die genannten, unter meinem Namen veröffentlichten Bücher als meine Bücher anerkennen wollte, und ob ich dabei bleiben wollte, sie zu verteidigen, oder bereit sei, sie zu widerrufen. Zu dem ersten Punkt habe ich sofort eine unverhohlene Antwort gegeben, zu der ich noch stehe und in Ewigkeit stehen werde: Es sind meine Bücher, die ich selbst unter meinem Namen veröffentlicht habe, vorausgesetzt, daß die Tücke meiner Feinde oder eine unzeitige Klugheit darin nicht etwa nachträglich etwas geändert oder fälschlich gestrichen hat. Denn ich erkenne schlechterdings nur das an, was allein mein eigen und von mir allein geschrieben ist, aber keine weisen Auslegungen von anderer Seite.
Luther kommt zum Thema: „widerrufen“. Jetzt erst wird es interessant. Luther bezieht sich auf die offenen Fragen von gestern, deren Beantwortung alles entscheiden wird.
Erstens, ob die vorliegenden Schriften aus seiner Feder stammen.
Zweitens, ob er sie verteidigen oder widerrufen wolle.
Luther gibt an, die erste Frage direkt beantworten zu wollen. Diese Ankündigung ist bereits ein rhetorischer Kniff: Indem er explizit darauf hinweist, dass er die Frage „unverholen“ beantworten werde und dazu auch in Ewigkeit stehen werde, erzeugt er bei den Zuhörern schon Spannung. Wir wissen zwar nicht, wie Luther den Text seiner Rede auf dem Reichstag vortragen. Aber vielleicht hat Luther Pausen gemacht, bestimmte Worte ganz bewusst betont, oder wie ein Professor doziert. Seine Antwort auf die erste Frage ist tatsächlich klar und eindeutig: Luther steht zu seinen Schriften und proklamiert auch nur, dass anerkennen zu wollen, was von ihm allein verfasst worden ist.
Damit bringt Luther seine wichtigste Botschaft schon am Anfang der Rede: „Das bin ich und ich bin so!“ Das ist ein klares Statement ohne sich vor einem der vielen Gelehrten oder Fürsten oder dem Kaiser selber im Raum zu fürchten. Sie können ihm nicht widersprechen. Er ist wie er ist. Aber er wird ihnen widersprechen.
Hinsichtlich der zweiten Frage bitte ich aber Euer aller-gnädigste Majestät und fürstliche Gnaden dies beachten zu wollen, daß meine Bücher nicht alle den gleichen Charakter tragen.
In Bezug auf die zweite Antwort bezüglich des Widerrufs weicht Luther aus.
Er verweist, dass die Sache eben nicht so einfach sei. Er könne nicht einfach alles
Geschriebene widerrufen, weil seine Schriften sehr unterschiedlich seien. Das Ausweichen erklärt er mit der höheren Komplexität eines Sachverhaltes. Das ist für die Zuhörer durchaus noch nachzuvollziehen. Dann teilt er seine Schriften in Gruppen ein.
Die erste Gruppe umfaßt die Schriften, in denen ich über den rechten Glauben und rechtes Leben so schlicht und evangelisch gehandelt habe, daß sogar meine Gegner zugeben müssen, sie seien nützlich, ungefährlich und durchaus lesenswert für einen Christen. Ja, auch die
Bulle erklärt ihrer wilden Gegnerschaft zum Trotz einige meiner Bücher für unschädlich, obschon sie sie dann in einem abenteuerlichen Urteil dennoch verdammt. Wollte ich also anfangen, diese Bücher zu widerrufen – wohin, frag ich, sollte das führen? Ich wäre dann der einzige Sterbliche, der eine Wahrheit verdammte, die Freund und Feind
gleichermaßen bekennen, der einzige, der sich gegen das einmütige Bekenntnis aller Welt stellen würde!
Luther verweist darauf, dass die erste Gruppe seiner Schriften bloße Glaubens-schriften seien, die selbst von seinen Gegnern als nützlich anerkannt würden. Er kann also gar nicht widerrufen, was andere bereits anerkannt haben. Luther bezieht sich sogar auf die päpstliche Bulle, die offenbar einige seiner Schriften für unschädlich erklärt hatte. Er stellt sich selbst die Frage, ob er widerrufen könne. Damit ist die Antwort schon gegeben. Konsequent weitergedacht würde sein Widerruf bedeuten, dass Luther sich selbst in Frage stellen würde, was ja sonst kein vernünftiger Mensch tut. Luther stärkt mit dieser Logik sein Position und er sucht schon die Zustimmung seines Auditoriums.
Die zweite Gruppe greift das Papsttum und die Taten seiner
Anhänger an, weil ihre Lehren und ihr schlechtes Beispiel die ganze Christenheit sowohl geistlich wie leiblich verstört hat. Das kann niemand leugnen oder übersehen wollen. Denn jedermann macht die Erfahrung, und die allgemeine Unzufriedenheit kann es bezeugen, daß päpstliche Gesetze und Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen aufs jämmerlichste verstrickt, beschwert und gequält haben, daß aber die unglaubliche Tyrannei auch Hab und Gut ver-schlungen hat und fort und fort auf empörende Weise weiter verschlingt, ganz besonders in unserer hochberühmten deutschen Nation.
Luther erklärt allen, dass sich der zweite Teil seiner Schriften gegen das Papstum und die Missstände innerhalb der deutschen Kirche richtet. Luther ist immerhin ein Teil dieser Kirche. Die Legitimität seiner Kritik könne niemand leugnen oder übersehen. Denn die Unzufriedenheit unter den Gläubigen an der Basis belege dies ebenfalls. Luther spricht hier wie ein Rechtsanwalt im Namen der einfachen Gläubigen, ohne von diesen in besonderer Weise dafür legitimiert worden zu sein. Er präsentiert sich unverhohlen als Anwalt des Volkes. Das bringt ihn aus der Einzelkämpfer-Position in die Offensive des Volkes! Auch hier ist kein Widerruf möglich!
Und doch sehen sie in ihren Dekreten selbst vor, wie Distinctio 9 und 25, quaestio 1 und 9, zu lesen steht: Päpstliche Gesetze, die der Lehre des Evangeliums und den Sätzen des Evangeliums und den Sätzen der Kirchenväter widersprächen, seien für irrig und ungültig anzusehen. Wollte ich also diese Bücher widerrufen, so würde ich die Tyrannei damit geradezu kräftigen und stützen, ich würde dieser Gottlosigkeit für ihr Zerstörungswerk nicht mehr ein kleines Fenster, sondern Tür und Tor auftun, weiter und bequemer, als sie es bisher je vermocht hat. So würde mein Widerruf ihrer grenzenlosen, schamlosen Bosheit zugute kommen, und ihre Herrschaft würde das arme Volk noch unerträglicher bedrücken, und nun erst recht gesichert und gegründet sein, und das um so mehr, als man prahlen wird, ich hätte das auf
Wunsch Eurer allergnädigsten Majestät getan und des ganzen Römischen Reiches. Guter Gott, wie würde ich da aller Bosheit und Tyrannei zur Deckung dienen!
Weiterhin erklärt Luther, dass die Gesetze des Papstes für ungültig anzusehen wären, wenn... Er beruft sich auf das Kirchenrecht. Und wieder ist es logisch, dass ein Widerruf nicht in Frage kommen kann. Und im Nachgang spricht er sogar noch für die Autorität des Kaisers gegenüber der Tyrannei der Kirche. Das hört sich so logisch und harmlos an, dass man merkt, Luther sorgt sich um den Kaiser. Aus dieser Position heraus wäre sein Widerruf vor dem Kaiser des Römischen Reiches für die Kirche ein Triumpf! Es würde den Machtanspruch der Kirche gegenüber der staatlichen Obrigkeit unterstreichen würde. Luther beendet diesen Abschnitt seiner Rede gegen die Kirche mit der Berufung auf Gott – ganz sicher auch um die geistliche Aufrichtigkeit seines Anliegens zu unterstreichen.
Die dritte Gruppe sind die Bücher, die ich gegen einige sozusagen für sich stehende Einzelpersonen geschrieben habe, die den Versuch machten, die römische Tyrannei zu schützen und das Christentum, wie ich es lehre, zu erschüttern. Ich bekenne, daß ich gegen diese Leute heftiger vorgegangen bin, als in Sachen des Glaubens und bei meinem Stande schicklich war. Denn ich mache mich nicht zu einem Heiligen und trete hier nicht für meinen Lebenswandel ein, sondern für die Lehre Christi. Trotzdem wäre mein Widerruf auch für diese Bücher nicht statthaft; denn er würde wieder die Folge haben, daß sich die gottlose Tyrannei auf mich berufen könnte und das Volk so grausamer beherrschen und mißhandeln würde denn je zuvor.
Die dritte Gruppe von Luthers Schriften richteten sich gegen Einzelpersonen, die kirchlichen Amtsmissbrauch verteidigen und unterstützen würden. Luther räumt ein, gegen diese Menschen mit harter Sprache und hartem Urteil vorgegangen zu sein. Er bekennt, dies sei nicht schlicklich gewesen. Er spricht sich schuldig. Aber auch das ist kein Widerruf. Diese zunächst demütig klingende Einsicht löst sich jedoch bald in Luft auf. Luther präsentiert sich wiederum als ein Mann, der für das Volk seine Stimme erhebt.
Dann aber wechselt Luther die Argumentationsebene. Luther weist darauf hin, dass es vor dem Reichtstag nicht um Ehre oder Fehlverhalten seiner Person gehe, sondern um die Wahrheit der Lehre Jesu Christi und um das Wort Gottes. „Ich bin ein Mensch und nicht Gott“. Auch hier entzieht er seinen Anklägern Boden unter den Füßen. Denn einen Widerruf zu verlangen oder ein Todesurteil vom Kaiser zu fordern, das bedeutet, sich selber an die Stelle Gottes zu setzen.
Aber ich bin ein Mensch und nicht Gott. So kann ich meinen Schriften auch nicht anders beistehen, als wie mein Herr Christus selbst seiner Lehre beigestanden hat. Als ihn Hannas nach seiner Lehre fragte und der Diener ihm einen Backenstreich gegeben hatte, sprach er: «Habe ich übel geredet, so beweise, daß es böse gewesen sei.»
Der Herr selbst, der doch wußte, daß er nicht irren könnte, hat also nicht verschmäht, einen Beweis wider seine Lehre anzuhören, dazu noch von einem elenden Knecht. Wieviel mehr muß ich erbärmlicher Mensch, der nur irren kann, da bereit sein, jedes Zeugnis wider meine Lehre, das sich vorbringen läßt, zu erbitten und zu erwarten. Darum bitte ich um der göttlichen Barmherzigkeit willen, Eure allergnädigste Majestät, durchlauchtigste fürstliche Gnaden oder
wer es sonst vermag, er sei höchsten oder niedersten Standes, möchte mir Beweise vorlegen, mich des Irrtums überführen und mich durch das Zeugnis der prophetischen oder evangelischen Schriften überwinden. Ich werde völlig bereit sein, jeden Irrtum, den man mir nachweisen wird, zu widerrufen, ja, werde der erste sein, der meine Schriften ins Feuer wirft.
Luther beruft sich vor dem Reichstag auf das Beispiel Jesu in Joh. 18, 23, der es zugelassen hatte, dass seine eigene Lehre hinterfragt wurde, obwohl Jesus selbst von sich wusste, dass er nicht irrte. Damit predigt Luther schon. Er setzt das biblische Beispiel ein, und bringt Jesus selber vor den versammelten Rat der Fürsten. Die Kraft dieses biblischen Vergleiches setzt Luther bewusst ein, um der Forderung, Beweise für seine Lehren vorzubringen, Nachdruck zu verleihen. Offenbar wusste er, welche Wirkung es hat, das Wort Gottes zu zitieren.
Es wird hiernach klar sein, daß ich die Nöte und Gefahren, die Unruhe und Zwietracht, die sich um meiner Lehre willen in aller Welt erhoben haben, und die man mir gestern hier mit Ernst und Nachdruck vorgehalten hat, sorgsam genug bedacht und erwogen habe. Für mich ist es ein denkbar erfreulicher Anblick, zu sehen, wie um Gottes Wort Unruhe und Zwietracht entsteht. Denn das ist der Lauf, Weg und Erfolg, den Gottes Wort zu nehmen pflegt, wie Christus spricht: «Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert; denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater usw.» Darum müssen wir bedenken, wie Gott wunderbar und schrecklich ist in seinen Ratschlüssen, daß nicht am Ende das, was wir ins Werk setzen, um der Unruhe zu steuern, damit anfängt, daß wir Gottes Wort verdammen, und so viel mehr einer neuen Sintflut ganz unerträgliche Leiden zustrebt.
Luther hat nachgedacht. Er redet von dem, was ihn erfreut, statt sich schuldig zu bekennen. Das Wort Gottes ist der Grund. Und weil Gott stets auch der Handelnde ist, unterstreicht, dass es um Gott geht. Aus der Analyse des Gesagten merkt man, dass er seine Kirchenkritik sorgsam erwogen hat. Von der Kritik an ihm bleibt nichts übrig, er hat die Argumente seiner Gegner hinweggefegt.
Nun ist das für Luther die Chance, in die Offensive zu gehen. Diese Unruhe um Gottes Wort sei genau das, was Jesus auch schon gepredigt habe. Luther warnt vor einer neuen „Sintflut“ und spielt damit auf die biblische Urzeitgeschichte (Vgl. 1. Mose 6-8) an, wobei alle Menschen aufgrund ihrer Sünde gegen Gott vernichtet worden sind. Nur die Familie Noahs wurde in der Arche gerettet. Mit der Sintflut-Metapher will Luther ausdrücken: Wer der göttliche Wahrheit im Worte Gottes nicht bereit ist zu vertrauen, steuere am Ende unerträglichen Leiden entgegen. Das drastische Bild der Sintflut, welches als Anspielung auf das Gericht Gottes zu deuten ist, spitzt er im nächsten Abschnitt nun auf den Hauptadressaten seiner Rede zu.
Wir müssen sagen, daß die Regierung unseres jungen,
vortrefflichen Kaisers Karl, auf dem nächst Gott die meisten
Hoffnungen ruhen, nicht eine unselige, verhängnisvolle Wendung nehme. Ich könnte es hier mit vielen Beispielen aus der Schrift vom Pharao, vom König Babylons und den Königen Israels veranschaulichen, wie sich gerade dann am sichersten zugrunde richteten, wenn sie mit besonders klugen Plänen darauf ausgingen, Ruhe und Ordnung in ihren Reichen zu behaupten. Denn er, Gott, fängt die Schlauen in ihrer Schlauheit und kehret die Berge um,
ehe sie es inne waren. Darum ist’s die Furcht Gottes, deren wir bedürfen. Ich sage das nicht in der Meinung, so hohe Häupter hätten meine Belehrung oder Ermahnung nötig, sondern weil ich meinem lieben Deutschland den Dienst nicht versagen wollte, den ich ihm schuldig bin. Hiermit will ich mich Euer allergnädigsten kaiserlichen Majestät und fürstlichen Gnaden demütig befohlen und gebeten haben,
sie wollten sich von meinen eifrigen Widersachern nicht ohne Grund gegen mich einnehmen lassen. Ich bin zu Ende …
Luther spricht Kaiser Karl V. direkt an. Er erkennt seine Autorität an. Auf Karl V. liegen die Hoffnungen der Menschen. Aber Luther warnt ihn davor, seinen Widersachern ohne Grund Recht zu geben und ihn zu verurteilen. Er verbindet seine Warnungen mit dem Verweis auf negative Beispiele aus der Bibel, die veranschaulichen sollen, wie sich Herrscher selbst zu Grunde richten, wenn sie sich allein selbst für klug halten. Luther will diese Aussagen nicht als Anmaßung verstanden wissen, sondern weil er seinem „lieben Deutschland“ den Dienst nicht versagen wolle, dem er ihm schuldig sei. Die direkte Ansprache an den Kaisers zeugt vom Selbstbewusstein und Mut Luthers. An Kaiser und Fürsten gerichtet folgen noch wenige demütige Worte, man möge sich von seinen Widersachern nicht blind
beeinflussen lassen. Schließlich kommt Luther zum Höhepunkt seiner Ansprache. Das Wichtigste fehlt aber noch: DIE ANTWORT!
Weil denn Eure allergnädigste Majestät und fürstlichen Gnaden eine einfache Antwort verlangen, will ich sie ohne Spitzfindigkeiten und unverfänglich erteilen, nämlich so: Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe,
und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun.
In kurzen, einfachen Worten formuliert Luther sein Schlussplädoyer. Er bezeichnet ich selbst als besiegt vom Wort Gottes. Das ist eine Formulierung, die man noch nie zuvor gehört hatte. Und dann ist es nur logisch, dass er nicht widerrufen kann. Somit ist den Anklägern und dem Kaiser die Möglichkeit entzogen, ihn zu verurteilen. Er ist bereits besiegt und verurteilt von Gott.
So muss Luther am Ende noch mal zusammen, was alle schon geahnt hatten: ich kann nicht widerrufen! Es ist nach Lage der Sache an sich gar nicht möglich! Ich habe ein Gewissen! Ich bleibe bei der Wahrheit!
Das Argument für seine eigene Seele, in seiner Angst, vor dem Kaiser reden zu müssen war: Gott ist auf meiner Seite! Oder anders ausgedrückt für die Welt, die Gott nicht kennt:
„Hier stehe ich – und kann nicht anders!“
Gott helfe mir, Amen.
Luther endet mit der religiösen Formel „Gott helfe mir, Amen.“ Hieran wird deutlich, dass sich Luther ganz bewusst in seinem Reden und Handeln an Gott wendet – Gott, hilf mir ! - unabhängig davon, wie das Urteil über ihn ausfällt. Und das Wort „Amen“ - hebräisch, was so viel bedeutet „So ist es!“ – ist die abschließende Bekräftigung eines Priesters für seine Predigt.
Die Reichstagsrede wird in Wittenberg gedruckt. Allerdings mit einer kleinen, aber entscheidenden Änderung. Hier nun wird Luthers Worten etwas vorangestellt, was fortan zu dem Lutherwort schlechthin werden sollte:
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders."
Wer auch immer in Wittenberg für diese rhetorische Zuspitzung verantwortlich war, es ist ihm ist ein großer Wurf gelungen. Auch wenn just der, der sich in seinem Leben an die Treue zum Wort gebunden sah, sie nie so gesprochen hat, wurden gerade diese Worte prägend für die weitere Entwicklung.
Fazit
Martin Luthers Verteidigungsrede ist rhetorisch sehr gut aufgebaut. Luther hat dabei aber keine Tricks und Kniffe angewandt. Seine Rede besticht durch eine klare Struktur und ist lebendig hat griffige bildhafte Formulierungen.
Ihm gelingt ein selbstbewusster, überzeugender und inhaltsstarker Auftritt.
Die Absicht - Ich kann nicht widerrufen - ist gut verständlich bewiesen. Dabei geht es nicht mehr um Politik, nicht um Theologie, nicht um Kirchenrecht. Seine innere Haltung ist demütig. Aber er formuliert klar seinen Standpunkt, und keiner kann ihn angreifen. Seine Rede ist vom Ende her gesehen, unnachgiebig und fest entschlossen. Für seine Argumentation gibt es kein Gegen-Argument. In sein Quartier zurückgekehrt, soll er beide Arme hochgerissen und gejubelt haben: "Ich bin hindurch!"
Mit Luther tritt zum erstenmal eine Persönlichkeit ins Rampenlicht der Weltgeschichte, die zu den ersten gehört, die Gott wirklich kennen und die Gott ernsthaft vertrauen und sich von Gott berufen sehen und sich an ihn gebunden haben. Luther lebte im Licht Jesu. Niemand der Anwesenden kannte Gott so wie Luther. Niemand von den Anwesenden hatte eine Persönlichkeit wie dieser Luther. Alle Anwesenden waren ihm unterlegen. Ihre Denkfähigkeit war begrenzt. Sie hatten nicht den Geist des Lebens. Luther hatte ihn. Das Maul der Widersacher war gestopft. Ihre Wut begann zu kochen. Luther sagte später einmal:
wenn ich hätte wollen, ich wollte Deutschland in ein grosses Blutvergießen gebracht haben. Ja ich wollte zu Worms ein Spiel angerichtet haben, dass der Kaiser nicht wäre sicher gewesen. Aber, was wäre es gewesen?
Ein Narrenspiel wäre es gewesen und ein Verderbnis an Leib und Seele.