Wie sich ein jüdisches Ehepaar bekehrte

in Ungarn während der Hitlerzeit - Mary Hajos


,Wenn sie in Not sind werden sie nach mir fragen"


Um diese Zeit machten sich die ersten unheilverkündenden Wolken von Deutschland her auch in Ungarn bemerkbar. Sturmsignale ertönten, und - ich erschrak. Blitzartig ging mir auf, daß mich die Zugehörigkeit zum Volk der Juden das Leben kosten könnte. Der Gedanke, vielleicht sogar sterben zu müssen, nur weil ich nun einmal in dieses Volk hineingeboren worden war, empörte mich um so mehr, als ich dem religiösen Judentum total entfremdet war. Das brachte mich das erstemal zum Nachdenken.

Ich begann, einen geheimnisvollen Zusammenhang zu ahnen zwischen meinem an Gott Gebundensein durch mein Judentum einerseits und dem blinden Haß der Welt andererseits. Deshalb ergriff ich die Flucht vor Gott. Ich wollte den Gott meiner Väter,

den Gott Israels, endgültig los sein. Ich wollte doch leben, um jeden Preis leben!

Damals wußte ich noch nicht, daß dies unmöglich ist. Ich wußte nicht, daß mein Unglaube Gottes Treue niemals aufzuheben vermag.

Eines Tages stand es bei mir fest: Ich wollte dem Beispiel der großen und immer noch wachsenden Zahl derer folgen, die sich einer christlichen Kirche anschlossen in der Hoffnung, dadurch vielleicht den Verfolgungen zu entgehen. Dies schien mir das Einfachste zu sein. Ich dachte, wenn ich das begehrte Papier habe, bin ich der Hand Gottes entschlüpft.


Jedoch, als wir den wohl zurechtgelegten Plan meinem Manne mitteilte, stieß ich auf einen erschreckend harten Widerstand. Er antwortete: ,Lieber sterbe ich, als daß ich den Glauben meiner Väter verleugne.' Er wollte nichts von meinem Plan hören. Das war sehr bitter, aber ausschlaggebend; denn wir waren in inniger Liebe miteinander verbunden.

Inzwischen ballten sich die Sturmwolken immer unheilvoller über Ungarn zusammen, es war schon mehr ein starkes Blitzen und Donnern. Etwas mußte geschehen. Jetzt mußte schnell gehandelt werden. Wir dachten an Auswanderung. Da wir beide die englische Sprache beherrschten und mein Mann außerdem noch weitere sieben Sprachen geläufig sprach, schien uns

dies die beste Lösung zu sein. Nur unsere alten Mütter, was sollte aus ihnen werden? Wir konnten sie doch nicht

einfach verlassen!

Durch die schottische Mission hofften wir Auskunft zu erhalten über die Ausreisemöglichkeiten, und so begab ich mich zum schottischen Pfarrer, George Knight. Zitternd vor Aufregung drückte ich die Klingel, nicht ahnend, daß ich mit diesem Schritt an der Schwelle eines neuen Abschnittes meines Lebens stehen

sollte.

Ein junger Pfarrer mit freundlichen Augen empfing mich und führte mich in sein Zimmer. Ich sagte ihm sofort, wer ich wäre. Trotzdem blieb er gleich freundlich und gütig, ja, es schien mir zu meiner Verwunderung, als ob meine Zugehörigkeit zum Volk

lsrael seine Güte und Liebenswürdigkeit eher noch gesteigert hätte. Das konnte ich nicht verstehen. Wurden wir Juden doch von den meisten Menschen mit Abscheu betrachtet. Später ging mir auf, daß er als einer, der um das Geheimnis Israel wußte, in mir nicht die verachtete Jüdin sah, die sich um jeden Preis aus der Hand ihrer Feinde retten wollte. Vielmehr hat er in mir ein verlorenes Schaf, das der gute Hirte, Jesus Christus, sucht, gesehen.

George Knight bat mich deshalb, wiederzukommen und meinen Mann mitzubringen. So gingen wir beide hin. Aber mein Mann war fest entschlossen, dem Gott seiner Väter treu zu bleiben und um keinen Preis einen anderen Glauben anzunehmen. Zu seinem größten Erstaunen wurde ihm jedoch kein anderer, sondern sein Gott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bezeugt und Gottes Treue und Liebe zu seinem Volk. Stück um Stück wurden wir auf den wundersamen Weg der rettenden Liebe Gottes hingeleitet, auf die Liebe, die den verheißenen Messias als das Lamm Gottes in die Welt gesandt hat, auf daß durch sein Blut eine einmalige und vollgültige Erlösung geschaffen würde.

Er war der erste Christ in unserem Leben, der uns das Kreuz von Golgatha als die Stätte der Versöhnung Gottes mit seinem Volk Israel und mit der ganzen Welt bezeugte.

Er war der erste Christ, der uns zeigte, was Petrus seinen jüdischen Brüdern gesagt hat: ,Ihr seid des Bundes Kinder und euch in erster Linie hat Gott seinen Knecht Jesus auferweckt, euch zu segnen.


Darüber konnten wir aus dem Staunen nicht herauskommen!

Wir hatten bis dahin nur immer das Gegenteil gehört. Stets wurde uns vorgehalten, daß der Kreuzestod Jesu für die Welt zwar Erlösung gebracht, für uns Juden aber den Zorn Gottes heraufbeschworen hätte, der seit 2ooo Jahren bis zu dieser Stunde unablässig gälte.

So hatte auch mein Mann z. B. in frühester Kindheit den Namen Jesu das erstemal in Verbindung mit dieser Anklage zu hören bekommen. Sein Spielkamerad, mit dem er gut befreundet war, kam gleich ihm zur Schule. Als aber für jenen die ersten Religionsstunden kamen, war er plötzlich wie verwandelt.

Eines Tages lief er nach einer solchen Religionsstunde auf seinen jüdischen Freund zu und rief:,Ihr bösen Juden habt unsern lieben Herrn Jesus ermordet!" Natürlich war dieser entsetzt und verstand gar nichts. Er lief nach Hause und fragte seine Mutter ,,Mutter, wann haben wir Juden einen Jesus ermordet?  Die Mutter, die eine sehr fromme und betende Jüdin war, zudem eine Witwe mit fünf Kindern, rief unter Tränen: ,,Nun fängt es auch bei Dir an... Dasselbe schmerzlich Erleben hatte sie ja auch bei den älteren vier Kindern gehabt, als diese in die Schule gekommen waren. -

Das alles hatte meinem Manne vor Augen gestanden, als er nun - vierzig Jahre später-in jenem schottischen Pfarrer einem Christen begegnete, der ihm die frohe Botschaft des Kreuzes nicht vorenthielt.

Als Pfarrer Knight nach einiger Zeit der Unterweisung meinen Mann fragte, ob er Jesus als den Sohn Gottes und seinen persönlichen Erlöser erkennen könne, erwiderte dieser:

"Ich liebe Jesus und halte ihn für den wunderbarsten Menschen und für einen mächtigen Propheten.'

,,Dann werde ich weiter für Sie beten", war die ehrliche Antwort. Pfarrer Knight wußte, daß die Stunde noch nicht da war, in der ihm Herz und Augen geöffnet werden sollten, daß er Jesus als seinen persönlichen Heiland erkennen konnte. Zuvor mußte Gottes Geist uns beiden die Augen für unsere Sünden öffnen und damit für unsere Erlösungsbedürftigkeit.

Wohl kannten wir Gottes Willen und seine Forderungen und versuchten, diese zu erfüllen. Aber es fehlte uns die Kraft. Auch mein Mann - er bezeugte es später - kämpfte mit ganzer Willenskraft gegen einzelne Sünden, um sie völlig zu besiegen. Aber umsonst!

Immer wieder wurde er zum Besiegten. Bis endlich aus der Tiefe seines Herzens ein verzweifelter Hilferuf an Jesus Christus hervorbrach. Da geschah das Wunder!

Jetzt war die Stunde gekommen, und er erlebte Jesus als seinen Erretter und persönlichen Heiland. An Leib, Seele und Geist erfuhr er die von Sünden befreiende Kraft Gottes und den Sieg der Auferstehung Christi. Von nun an stand er in einem neuem Leben, und es wurde ihm klar, daß Gott ihn im selben Augenblick zum Dienst aufgerufen und in die Reihe seiner Zeugen gestellt hatte.

Fast zur gleichen Zeit - aber ganz unabhängig von meinem Mann - erlebte auch ich meine Bekehrung. Ich hatte bis dahin noch keine persönliche Begegung mit dem Herrn gehabt. Doch war in mir schon der erste Funke des Feuers seiner Liebe entzündet. Bei einer evangelischen Freizeit wurde es mir während einer Morgenandacht plötzlich klar, daß ich eine verlorene Sünderin war und so niemals vor dem heiligen Angesicht Gottes würde bestehen können. lch brach unter dem Gewicht des Gotteswortes zusammen. Doch ich durfte vom Tod ins Leben hinübergehen. In meinem Innern vernahm ich die Stimme des Herrn, der mich aufforderte, Ihm mein Herz und Leben hinzugeben. Ich betete: ,,Herr, Du hast mich entlarvt. Ich sehe, es ist nichts Gutes in mir. Aber dennoch rufst Du mich zu Dir. Wenn Du mich so annimmst, wie ich bin, dann liefere ich mich Dir jetzt restlos aus." So betete ich still und unter Tränen.

Es läutete die Glocke, die zur Versammlung rief.Wir  gingen in den Hof, wo jeder von uns einen Bibelspruch empfing. Mit zitternder Hand griff ich nach dem Wort, von welchem ich die Antwort auf meine kühne Bitte, der Herr möge mich annehmen, so, wie ich bin, erwartete. Und siehe da, auf dem Zettel, den ich in der Hand hielt, stand geschrieben . Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit' (Hosea 2, Vers 21 ).

Die große und heilige Freude, die an jenem sonnigen Sommer-morgen mein Herz erfüllte, war übermächtig!

Zu einem ganz besonderen Erlebnis wurde uns dann unsere Taufe, die Pfarrer Knight im Gottesdienstsaal der schottischen Kirche vollzog. Als das Lied ,Heilig, heilig, heilig" erklang, schien es uns, als würden wir von himmlischen Heerscharen begrüßt. Ich war tief erschüttert, und als wir die Taufe empfangen hatten,

erfüllte mich eine heilige Furcht. Es war mir, als hätten wir ein unsichtbares weißes Kleid erhalten, das uns verpflichtete, von nun an anders zu leben als bisher.

Gleichzeitig wurden wir - als zehnjährige Eheleute – noch kirchlich getraut.


Meine Mutter war mit unserem ,,Übertritt“ einverstanden; aber nach einiger Zeit erschrak sie. Sie erschrak, weil sie merkte, daß hier viel mehr geschehen war als nur eine einfache ,,Papiertaufe". Sie sah unser verändertes Leben. Die bisherigen Freuden, die oft mit Sünde verbunden gewesen waren, verschwanden nach und nach aus unserem Leben. Niemand riß sie heraus. Aber die neue und größere Freude, die Freude der in Christus heimgefundenen, verdrängte die alte, die unechte und falsche Freude. Die alten Freunde blieben allmählich fort, und wir fühlten uns immer heimischer und glücklicher in der Gemeinde, die durch dasselbe teure Blut von ihren Sünden gereinigt war. Eine ungeahnte Freude durchströmte uns, als wir in ihr den Ort fanden, da der Zaun, zwischen Juden und Heiden abgebrochen war und wir alle in einem Geiste Zugang zum Vater haben: Im Kreuz auf Golgatha.

Anders als mit meiner Mutter war es mit der Schwiegermutter. Die Verwandten befürchteten ernstlich, unser ,,Übertritt" möchte der alten Frau ,,zu nahe ans Herz gehen". Sie gaben uns den Rat, den Schritt zu verheimlichen. Meine Schwiegermutter war damals schon über achtzig Jahre alt, hielt das Kerzenanzünden

am Freitagabend und alle jüdischen Feiertage, fastete und war überhaupt eine bewußte Jüdin, die einzig den Gott Israels anbeten wollte.

Wir aber vertrauten Gott und seinem Sohn. Wir glaubten, daß in keinem andern Heil ist als in Christus Jesus und daß er der Messias der Juden ist, den Gott durch die Propheten verheißen hat.

Darum sagte mein Mann seiner Mutter offen und klar, was mit uns geschehen war. Das weckte in ihr viele Fragen, und noch heute sehe ich, wie die beiden dann häufig über einer großen Bibel gebeugt saßen und mein Mann ihr - der gläubigen Jüdin - die große Linie der Treue Gottes zu seinem Israel aufzeigte, die

von Abraham über Mose und die Propheten ohne Unterbruch auf Jesus hinführt.

Später sprach sie oft und gern von ihrer Bekehrung als eine der ersten, die infolge der Gnade, die unser Leben neu gemacht hatte, den Herrn Jesus kennenlernen durfte.

Als die Judenverfolgung in Budapest den Höhepunkt erreichte, wurde sie aus dem Haus mit dem gelben Stern in ein Notspital gebracht. Trotz ständiger Lebensgefahr bewahrte sie ihren Frieden in Christus und war durch ihr neues Leben ein leuchtendes Zeugnis für ihren Herrn. Nach der Befreiung konnten wir sie in ein Diakonissen-Krankenhaus bringen, wo

sie noch oft das Evangelium von Jesus Chrisus hörte.

Sehr bald durfte sie dann in vollem Frieden in die ewige Herrlichkeit eingehen. Kurze Zeit danach gab der Herr mir die Bekehrung auch meiner Mutter als ein besonderes Geschenk. Denn ich selbst hatte ihr leider lange Zeit den Weg verbaut dadurch, daß ich ihr etwas aus meiner Kindheit nicht vergeben konnte, obwohl ich schon lange im Dienst der Verkündigung gestanden hatte.

Es war in der Osternacht gewesen, als ich nach hartem Ringen erkannte, daß ich am nächsten Morgen nicht zum Tisch des Herrn gehen durfte, bevor ich nicht diese Wand, die zwischen meiner Mutter und mir stand, aus dem Wege räumte. Und Jesus gab den Sieg. Als ich am nächsten Morgen mit großem Herzklopfen in ihr Zimmer trat, um sie um Verzeihung

zu bitten, hatte der Herr bei ihr schon das Wunder vollbracht. Sie wurde auch mit echter Buße beschenkt. Als zwei begnadigte Sünder begegneten wir einander, und in dieser Stunde konnte sie das neue Leben empfangen.

Einige Tage nach ihrer Wiedergeburt besuchte uns ein gläubiges, erst zwölfjähriges judenchristliches Mädchen. Ich erzählte ihr voller Freude, daß meine Mutter den Herrn als ihren Heiland erkannt habe. Da schlüpfte sie zu ihr ins Zimmer, damit sie sich gemeinsam freuen könnten. Das Kind lief zu meiner Mutter und sagte: ,Tante, ich freue mich so sehr, daß Sie jetzt auch den Herrn Jesus kennen, aber, und es sah auf das alte runzelige Gesicht, ,warum, bitte, haben Sie so lange gewartet?"

Da seufzte meine Mutter und gab unter Tränen zur Antwort: ,Ja, liebes Kind, wäre doch das Evangelium auch zu mir gekommen, als ich noch so jung war wie du - wie anders wäre mein ganzes Leben verlaufen!'

Bewegten Herzens habe ich das Gespräch im Nebenzimmer

mitangehört. Unwillkürlich zog vor meinen Augen das ganze verfehlte und tragische Leben meiner Mutter vorüber: Der Selbstmord meines Vaters, so viel unnützes Beginnen, so viel Enttäuschung und Ruin!

Inzwischen kam durch das Wort Gottes immer mehr Licht in unser Leben. Ein selbst erlebtes Lieblingswort meines Mannes war Joh. 7, 17 ,,So jemand will des Willen tun des, der mich gesandt hat, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei.“

Da wir Gottes 'Willen aus ganzem Herzen tun wollten, erschloß Sein Heiliger Geist uns mehr und mehr das wunderbare Geheimnis Seines Wortes.


 

 


 

 

 
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